Anfang des 20. Jahrhunderts

Lili Boulanger (1893-1918) –  das Genie und der Tod

Schmerz, Leid, Krankheit und Tod waren fester Bestandteil von Lili Boulangers Leben seit sie zwei Jahre alt war. Nach einer Bronchiopneumonie war sie anfällig für Infektionen aller Art. Mit anderen Kindern im Freien spielen oder eine Kompositionsklasse besuchen fiel erst einmal für sie aus. Stattdessen verbrachte sie ihre Zeit in Sanatorien, Kurorten und mit einem Privatlehrer. Lili wuchs wie fast alle ihre Vorgängerinnen in einer etablierten Pariser Musikerfamilie auf: Der Vater Ernest Boulanger war Gesangsprofessor am Conservatoire, die Mutter Raïssa Mychetskyeine russische Prinzessin und seine ehemalige Studentin. Lilis liebevolle ältere Schwester Nadia Boulanger reifte zu einer bekannten Dirigentin, Professorin und Komponistin.

So erhielt Lili mit fünf Jahren  Unterricht in Klavier, Cello, Harfe, Orgel und Harmonielehre. Ein Jahr später starb der geliebte Vater. Ihre Schwester Nadja schrieb dazu:

„… ich glaube, dass ihr Talent in der ersten Erkenntnis des Schmerzes wurzelte….mit sechs Jahren begriff sie, was der Tod, was der Schmerz, einen geliebten Menschen zu überleben bedeutet.“

Da Nadja mit Maurice Ravel in einer Klasse bei Gabriel Fauré am Conservatoire studierte, war Fauré ebenfalls mit Lili bekannt und ihr eine künstlerische Bereicherung. Sie komponierte nun schon fleißig, vernichtete aber diese ersten Kompositionen später. Mit siebzehn sahen sich Lili und ihre Mutter mit der Tatsache konfrontiert, dass Lilis Gesundheit eine Heirat nicht zuließ. Lili beschloss nun, ihren eigenen Unterhalt zu verdienen: Und zwar mit ihren Kompositionen. 1911 wurde sie am Conservatoire Paris aufgenommen und konnte nicht nur fundierte Kenntnisse, sondern auch Freunde gewinnen. 1913 überstand sie die Strapazen des renommierten Rom-Preis-Wettbewerbs, der mehrere Werke unter anderem für Orchester und Chor in kürzester Zeit forderte. Die klare Überlegenheit ihrer Kantate “Faust et Hélène“ über die Werke ihrer männlichen Mitstreiter zwang die Jury regelrecht, sie als erste Frau überhaupt mit dem ersten Preis zu ehren. Über Nacht wurde Lili Boulanger eine internationale Berühmtheit. Sie erhielt ein Stipendium, einen Aufenthalt in der Villa Medici in Rom und zusätzlich einen Exklusivvertrag mit dem Verleger Ricordi. Von nun an verschlechterte sich allerdings ihre Gesundheit zunehmend. Lili schrieb vom Tode getrieben und ließ keine Sekunde ungenutzt. 1918 im Alter von 24 Jahren starb Lili Boulanger in der Zeit des ersten Weltkrieges.

Es sind insgesamt 64 Werke bekannt, von denen 24 veröffentlicht wurden. Darunter einige Psalmenvertonungen und Kantaten für Solisten, Chor und Orchester, Klavierstücke und vereinzelt kleine Kammermusikstücke. Ihre Werke zeugen von düsterer Expressivität und Harmonik, einige Werke erinnern an Claude Debussy, andere an Richard Wagner.

 

Nadja und Lili Boulanger

Ihre Schwester Nadia Boulanger unterstütze Lili nicht nur zur Lebzeiten: Durch ständiges Aufmerksammachen auf Lilis Werke, wurden diese in ganz Europa und den USA verbreitet und auf Schallplatte aufgenommen. Nadia selbst dirigierte oft Lilis Werke. Sie war außerdem die erste Frau, die unter anderem das „Royal Philharmonic Orchestra“ (1937), das „Boston Symphony Orchestra“ (1937) und das „Orchester von Philadelphia (1939) dirigierte.

Die SufFragetten

Anfang des 20. Jahrhunderts befindet sich die Industrialisierung auf dem Höhepunkt. Auch die Frauen der Arbeiterfamilien müssen Geld dazuverdienen. Mit dem Aufkommen der sozialen Frage und den Ideen des Kommunismus wollen auch die Frauen vom Gesetz gleich wahrgenommen werden. Die meisten Frauenbewegungen der westlichen Länder forderten an erster Stelle das Wahlrecht. Suffragetten nannten sich die Frauen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten und sorgten für besonderes Aufsehen, als sie mit Steinen Fenster von Kaufhäusern und Ministern einschlugen. 1928 durften sie das erste Mal wählen.

Ethel Smyth (1858-1944) – Die „falsche“ Gouvernante und zerbrochene Scheiben eines Ministers

Während bei den meisten historischen Komponistinnen vor allem günstige äußere Umstände dafür sorgten, dass sie komponieren konnten, war es bei Ethel Smyth allein ihr kampfeslustiger Charakter: Schon als Kind war sie vorlaut und kletterte lieber auf Akazienbäume als sich wie eine viktorianische Lady zu benehmen. Ihr Vater John H. Smyth, ein Major-General, versuchte sie vergeblich mit Hieben einer Stricknadel zu zähmen. Die Mutter Nina Struth allerdings war eine kulturaffine Aristokratin und hatte ein besseres Verhältnis zu ihrem Sohn und ihren fünf Töchtern.

Die deutsche, feministische Gouvernante der Kinder setzte Ethel dann die ersten Flusen in den Kopf: Sie hatte in Leipzig Klavier studiert und schien ihre Begeisterung für Beethoven der 12-Jährigen im Klavierunterricht so gut weitergegeben zu haben, dass Ethel beschloss, am Leipziger Konservatorium Komposition zu studieren. Die Eltern mussten es sehr bereut haben, gerade an diese Gouvernante geraten zu sein.

Nach einem Konzertbesuch von Clara Schumann in London, wendete die junge Erwachsene Ethel Smyth schließlich harte Methoden an, um sich bei ihrem väterlichen General durchzusetzen: Hungerstreik, eisiges Schweigen, Verweigerung von Kirch- und Dinnerbesuch.

Mit Erfolg: Sie begann 1877 ihr Studium in Leipzig. Hier war sie nun erst einmal von den leidenschaftslosen Dozenten ernüchtert, fühlte sich aber in der großen Künstlerszene um Johannes Brahms, Edvard Grieg und Clara Schumann wie neu geboren. Einen Mann zum Heiraten fand sie zeitlebens nicht, da sie davon überzeugt war, nur ohne Familie eine aktive Komponistin sein zu können. Zudem hatte sie sich stets zu Frauen hingezogen gefühlt.

 

 

Tschaikovsky selbst legte Ethel Smyth nahe, dass eine gute Orchestrierung ihre Stärke ist. So entdeckt sie die Oper als „ihre“ Gattung. Eine ihrer besten Stücke wat „The Wreckers“, das 1906 uraufgeführt wurde. Ethel Smyths Werke wurden in Europa und den USA aufgeführt. Ab 1911 dirigierte sie zunehmend selbst, wobei sie als Komponistin auf mehr Widerstand stieß. Ihre Musik ist nicht avantgardistisch, sondern orientiert sich eher an der Romantik.

In einem weiteren Punkt sollte sie ihrer Gouvernante folgen: Anfangs eher nicht involviert, schloss sie sich 1911 den Suffragetten der britischen Frauenbewegung an und komponierte die Hymne im Kampf für das Frauenwahlrecht: „The march of the women“. 1912 war sie dabei, als die wütenden Frauen wieder Steine aus ihren Handtaschen und Muffs zogen. Das Ziel: Fenster des Hauses eines Ministers. Ethel landet im Gefängnis, wo sie mit einer Zahnbürste ihre Hymne dirigiert und ihr ein Chor von stolzen Gefangenen antwortet.

Sechs Jahre später wählten die britischen Frauen zum ersten Mal.

D’un soir triste

BBC Philharmonic unter der Leitung von Yan Pascal Tortelier

Klangbeispiele

The march of the women

Die Hymne der britischen Frauenbewegung